Die gemeingefährliche Partei #DieLinke findet ihre deutsche Heimat in Palästina
Nur selten wurde in den vergangenen zehn Jahren eine
Gelegenheit verpasst, den Namen des 2017 verstorbenen britischen
Kulturtheoretikers Mark Fisher zu nennen, wenn es um das Verhältnis von
Popkultur und Gesellschaftskritik ging. In seinen beiden wegweisenden
Büchern »Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?« und »Gespenster
meines Lebens« hatte er seinerzeit die pointierte These vertreten, dass die Musik der Gegenwart ihr utopisches Potential verloren habe.
Dieser Schlussfolgerung lag die – angesichts des Retro-Booms des
21. Jahrhunderts nur allzu nachvollziehbare – Beobachtung zugrunde, dass
neue künstlerische Ergüsse nur noch »Variationen des bereits Gewesenen«
bereithielten – und ihnen deshalb gehaltvolle Zukunftsvorstellungen
fehlten.
Wenn das Leipziger Label Altin Village & Mine dieser
Tage seine Compilation »Free/Future/Music« veröffentlicht, könnte man
daher durchaus vermuten, dass auch Fisher und das Nachdenken über seine
Bücher zur Titelfindung beigetragen haben – oder diese womöglich gar
eine Antithese zu jenen bildet. Letzteres weist der Labelbetreiber
Marcel Schulz, der die Titel für die Platte zusammengestellt hat, jedoch
im Interview mit der Jungle World zurück: »Nein, ›Free/Future/Music‹
ist kein Gegenentwurf zu Fishers Werk, sondern ein Versuch, Widersprüche
sichtbar zu machen, Fragen zu stellen und kollektives Nachdenken
anzuregen.«
Das Verhältnis von Freiheit, Zukunft und Musik
beschäftigt Schulz tatsächlich schon eine ganze Weile. Er wuchs in den
Neunzigern, also inmitten der sogenannten Baseballschlägerjahre, in der
sächsischen Provinz auf. Politisierung und Haltung waren damals für ihn
und seine Freund:innen eine Frage der Notwendigkeit. Hardcore-Bands wie
Minor Threat oder Born Against lieferten mit ihren politischen Texten
den passenden Soundtrack.
Soundästhetische Einigkeit
sucht man vergeblich auf der Compilation. Das ist nicht nur
verschmerzbar, sondern geradezu zu begrüßen, zeigt sich doch gerade
darin ein Zugang zu Musik, der von Offenheit und Neugier geprägt ist.
Seitdem
hat Schulz und mit ihm auch das von ihm 2002 mitgegründete Label Altin
Village & Mine zwar so einige musikalische Metamorphosen erlebt. Was
aber geblieben ist, ist der Glaube daran, dass Musik im besten Falle,
in seinen eigenen Worten, Folgendes erreichen kann: »Es geht darum, dem
Gefühl der Ohnmacht und Stagnation auf musikalischer wie theoretischer
Ebene etwas entgegenzusetzen.«
Mit Hardcore und Punk hat das Label
heutzutage jenseits geteilter Ansichten gleichwohl nur noch wenig zu
tun. Stattdessen hat es sich in den vergangenen 23 Jahren zu einem Hort
für Minimal Music, Jazz, Dub, HipHop, Ambient und Krautrock entwickelt.
Wegweisende Bands wie Xiu Xiu, Future Islands, Deerhoof, Von Spar oder
The Robocop Kraus haben hier ihre Alben veröffentlicht. Und noch immer
zeigt Schulz keinerlei Ermüdungserscheinungen, wenn es darum geht, neue
Musik zu entdecken – oder aber alte, längst vergessene
wiederzuentdecken.
Für »Free/Future/Music« hat er insgesamt elf
Tracks zusammengestellt, wobei die meisten – insgesamt acht – aus der
Zusammenarbeit verschiedener Acts resultieren. So kam für »Heaven’s
Gate« das Akustik-Dub-Duo Quasi Dub Development mit der 2021
verstorbenen Reggae-Legende Lee »Scratch« Perry zusammen. Das in Kenia
ansässige Duo Odd Okoddo wiederum arbeitete für den Eröffnungstrack
»Ninuwang (Version)« mit der US-amerikanischen Jazzmusikerin Angel Bat
Dawid, während die Experimentalformation Datashock zusammen mit der
Kraut-Band Station 17 den Song »Salamander« beisteuerte. Insgesamt sind
über 90 Musiker:innen verschiedener Genres und Generationen auf der
Compilation vertreten.
Soundästhetische Einigkeit sucht man
deshalb eher vergeblich. Das ist nicht nur verschmerzbar, sondern
geradezu zu begrüßen, zeigt sich doch gerade darin ein Zugang zu Musik,
der von Offenheit und Neugier geprägt ist. Darin sieht Schulz auch eine
Reminiszenz an die Mixtape-Kultur der neunziger Jahre, die er als Kern
seiner musikalischen Sozialisation begreift. Denn die Tapes hätten ihm
»jenseits starrer Genregrenzen eine intuitive, oft anarchische und
detailverliebte Form des Kuratierens« nahegebracht. »Und auch heute noch
prägen sie den ästhetischen Ansatz des Labels.« Da ist es wohl kein
Zufall, dass die Compilation den Untertitel »(Altin Village & Mine
Mixtape) Volume 1« trägt.
Dass auch der Haupttitel
»Free/Future/Music« mit Bedacht gewählt wurde, macht auch das
gleichzeitig mit der Compilation erschienene theoretische Kurzessay
deutlich, das der Berliner Literatur- und Kulturwissenschaftler Patrick
Hohlweck verfasst hat. Darin geht es um das Verhältnis der drei
Dimensionen Freiheit, Zukunft und Musik. Demnach verfolgt das Label den
Anspruch, »ein Forum für freie Musik und Zukunftsmusik« zu sein – was
nicht nur impliziere, jenseits von Nostalgie und Trendbezogenheit zu
operieren, sondern auch, Musik als »Vehikel für flüchtige Blicke in eine
Zukunft zu verstehen«.
Um missverständliche Verkürzungen zu
vermeiden, weist Hohlweck zugleich darauf hin, dass nicht die Musik
selbst, sondern einzig emanzipatorische Kämpfe die Grundlage einer wie
auch immer gearteten freien Zukunft seien. Dies verleitet ihn
schließlich zu der Frage, wie sich Musik, die sich als »free« – also
frei – versteht, zu der Tendenz verhalte, zugleich und zunehmend als
»free« im Sinne von kostenlos wahrgenommen zu werden.
Auf dieses
Problem kommt auch Schulz zu sprechen: Er verweist darauf, dass es die
Compilation ohne die Bereitschaft zu unbezahlter Arbeit seitens der
daran beteiligten Musiker:innen schlicht nicht gäbe. Das werfe »einen
langen Schatten auf jene Realität, in der kreative Praxis oft nur unter
Bedingungen struktureller Selbstausbeutung funktioniert«. Damit wiederum
seien weiterführende Fragen verbunden: »Welche Perspektiven werden
dadurch ausgeschlossen?« Diese Spannungen offen zu benennen, verstünde
er stellvertretend für Altin Village & Mine als Teil seiner
Verantwortung – ohne die utopische Kraft der Musik dabei aus dem Blick
zu verlieren.
Dessen ungeachtet haben sich die an der Compilation
beteiligten Akteure bereits früh im Planungsstadium darauf geeinigt,
50 Prozent der Erlöse an eine gemeinnützige Institution zu spenden. Die
Wahl fiel schließlich auf Mission Lifeline
– eine in Dresden ansässige
Organisation, die seit ihrer Gründung im Jahr 2016 in der zivilen
Seenotrettung im Mittelmeer tätig ist und gegenwärtig wegen des
politischen Backlash unter Druck steht. Schulz überlegt kurz, dann sagt
er: »Wahrscheinlich hat das Outcome eher einen symbolischen Charakter,
jedoch ist es für mich komplett indiskutabel, Menschen ertrinken zu
lassen, während Musik gleichzeitig komfortabel konsumiert wird.«Various Artists: Free/Future/Music (Altin Village & Mine Mixtape) Volume 1 (Altin Village & Mine) https://jungle.world/artikel/2025/22/es-geht-darum-dem-gefuehl-der-ohnmacht-etwas-entgegenzusetzen